Schuch
essenziell
Die sichtbare Welt erkunden und bezeugen – dabei bleibt die Landschaftsmalerei Carl Schuchs eigentliches Anliegen. Auch während seiner zwölf Jahre in Paris, verbringt er die Sommermonate in der Natur. In der Franche-Comté, am Rande des Jura, entstehen hinreißende Landschaftsgemälde.
„Das einzig Auszuführende ist mir in der Landschaft die Farbe.“
Steine im Flussbett des Doubs – sie genügen Schuch für seine malerische Auf- und Hingabe: Es sind keine spektakulären Panoramen oder dramatischen Naturformationen, die ihn in die Franche-Comté, die Heimat seines Vorbilds Gustave Courbet, locken. Sieben oder acht Sommer verbringt Schuch nach 1886 in der Juralandschaft an der französisch-schweizerischen Grenze.
Schuch wendet in der Landschaftsmalerei an, was er in den Stillleben erprobt hat: Bestimmte Ausschnitte der Landschaft malt er mehrfach in Bilderfolgen. Wie verändert sich das Bildgefüge angesichts unterschiedlicher Licht- und Witterungsverhältnisse? Welche Empfindungen schwingen dabei mit? Und was ist – trotz aller Wandelbarkeit – der Zusammenhang der anschaulichen Natur?
Naturgeheimnisse
Eine sanfte Farbigkeit und stimmungsvolle Schönheit – mit etwas Abstand betrachtet könnte man Schuchs Bilder für konventionelle Landschaftsgemälde halten. Doch nähert man sich den Bildern, erscheint ihre Struktur teils unruhig und heftig bewegt. Schuch zeigt mehr als die Oberfläche der Dinge.
„Wir müssen unsre Bilder tiefer malen als die Natur (…).“
Melancholisch steht das alte Sägewerk am Fluss – Wasser rinnt über urgesteinsartige Felsen: Ein berührendes Bild. Schuchs Gewebe aus Pinselzügen und Farben bleibt unergründlich: An Stellen scheint es, als würde die Malerei die Naturformen regelrecht durchdringen, ihre tiefen Strukturen und Zusammenhänge im Bild erspüren.
Dieses Gemälde hat nicht Carl Schuch, sondern Gustave Courbet gemalt. Es zeigt den Ursprung des Flusses Loue bei Courbets Geburtsort Ornans. Die Gemälde seiner Heimat schwanken zwischen Symbolik und Naturschilderung. Als Sinnbilder des Ursprungs erfassen sie erdzeitgeschichtliche Vorstellungen: Gesteinsschichten und Wasserläufe zeugen von der jahrmillionenalten Entstehung der Landschaft. Schuch wandelt am Rand des Juragebirges auf Courbets Spuren.
Farbschicht um Farbschicht – die Felsen und Gesteinsschichten der Juralandschaft bildete Gustave Courbet mit dem Palettmesser – einer Art „Malspachtel“ – auf der Leinwand nach. Einerseits wurde der Künstler wegen seiner unkonventionellen Technik verlacht, andererseits besonders geschätzt: Seine Darstellung des Roche Pourrie (franz. für „verrotteter Felsen) gab der Geologe Jules Marcou (1824–1898) in Auftrag: Er bewunderte Courbets Präzision in der Wiedergabe der Gesteinsformationen. Als kleine, kaum erkennbare Gestalt hat Courbet den befreundeten Wissenschaftler ins Gemälde gesetzt. Theorien über Felsformationen und Gebirgsbildungen wurden im 19. Jahrhundert erstmals systematisch entwickelt. Die Vorstellung, dass Gesteinsmassen sich über Millionen von Jahren bewegen und die Tiefenzeit unserer Erde in sich tragen, versetzte nicht nur Courbet in Staunen.
Wie lassen sich Gesteinsstrukturen in einem Gemälde erfassen? – Schuch orientiert sich an Courbets Spachteltechnik, um die Steine des Jura zu malen. Mit dem Palettmesser schichtet und strukturiert er die Farbe auf der Leinwand.
Schuchs Schilderung der Stromschnellen des Doubs haben einen kaum greifbaren Charakter: Die Formen der Natur lösen sich in faszinierenden Farbtongestaltungen auf, die räumliche Ordnung verschwimmt.
Schuch schreibt einmal, er wolle mit seiner Kunst im Zusammenklang der Farben etwas Essenzielles festhalten – die „ätherische Essenz der Erscheinung“ über die Malerei vermitteln.
Für heutige Ohren mag Schuchs Formulierung von der „ätherischen Essenz“ esoterisch klingen. In den 1880er Jahren war der Begriff jedoch eine Vokabel der Physik. Die Vorstellung eines Äthers, eines unsichtbaren, allumfassenden Mediums, war Teil des naturwissenschaftlichen Weltbilds. Seit dem 17. Jahrhundert wurde die Theorie des Äthers – den man sich elastisch verformbar vorstellte – immer wieder postuliert, um die Verbreitung von Wellen zu erklären. Schuch war wohl mit der Idee vertraut, dass der Äther – als den ganzen Raum durchdringendes Medium – elektromagnetische Wellen, also vor allem Licht, übertrüge und damit die sichtbare Natur bestimmte. Erst durch Albert Einsteins (1871–1955) Spezielle Relativitätstheorie verlor die Äther-Hypothese Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Gültigkeit.
„Und die Bedeutung des Tons ist die, dass er den Dingen das Materielle nimmt und nur die ätherische Essenz der Erscheinung festhält.“
Carl Schuch – ein tiefgründiger, faszinierender Künstler, den es wiederzuentdecken lohnt! Wer seine Bilder im Original erlebt und sich Zeit nimmt, kann sich hinreißen lassen. Seine Gemälde entstanden in rasanten Umbruchszeiten und schildern doch die tiefe Schönheit unserer Welt. Sie laden zum Genießen, Nachdenken und Staunen ein.