Schuch
auf der
Suche
Schon als Jugendlicher in Wien trifft Carl Schuch die Entscheidung, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen: Auf der Suche nach einer ganz eigenen Farb- und Formensprache begeistert er sich für die moderne Kunst und Kultur aus Frankreich.
„Frankreich war voraus gegangen und hatte in Literatur und Malerei Meisterwerke hingestellt, die seitdem viel nachgeahmt, noch in keinem andern Land erreicht worden sind.“
Ein wacher Blick in die Welt, in galantem Schwarz und mit hohem Hut, die Zigarette lässig im Mundwinkel: Das Porträt zeigt Carl Schuch im Alter von 29 Jahren. Doch das Gemälde von Wilhelm Leibl (1844–1900), einem Weggefährten Schuchs, lässt auch eine tiefe Melancholie erahnen.
Die Erbschaft seiner Eltern ermöglicht es: Schuch leistet sich eine künstlerische Ausbildung in Wien. Nach einem abgebrochenen Studium an der Staatlichen Kunstakademie nimmt er Privatunterricht bei dem Landschaftsmaler Ludwig Halauska (1827–1882).
Der Tod seiner Schwester Pauline bewegt Carl Schuch 1869 dazu, seine Heimatstadt zu verlassen. Der hochgebildete und polyglotte junge Mann geht auf Reisen – durch Italien, über Rom und Neapel, später auch nach Paris und Brüssel, Amsterdam, Dresden und München.
Europa ist um 1870 politisch tief gespalten. Während eines Aufenthalts in Italien erlebt Schuch die Einnahme Roms: Sie besiegelt das Ende der italienischen Unabhängigkeitskriege und führt zur Loslösung von der österreichischen Kaiserkrone und zur nationalen Einigung. 1870/71 tobt außerdem der Deutsch-Französische Krieg: Am Ende der militärischen Auseinandersetzung stehen nicht nur hunderttausende Todesopfer und schwere Zerstörungen, sondern auch die Gründung des Deutschen Reiches sowie das Ende des Second Empire, des Zweiten Französischen Kaiserreichs. Schuch lebt in Umbruchszeiten – in seinen Notizheften und Briefen finden sich immer wieder Hinweise auf das rasante politische Geschehen seiner Zeit, doch seine Gemälde sind davon frei.
Auf Reisen quer durch Europa – Schuch blickt dabei immer nach Frankreich: Bei Museums- und Galeriebesuchen gilt seine besondere Aufmerksamkeit den Kunstwerken französischer Zeitgenossen. Die neue Malerei aus Frankreich begeistert ihn: Dort hatten Künstler ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit althergebrachten Normen gebrochen. In einer Zeit großer Umwälzungen forderten sie eine unvoreingenommene, aufrichtige Kunst!
„Den Franzosen ist es gelungen, die traditionelle Art zu sehen verlassen zu können und ein natürlicheres und tieferes Verhältniß zur Natur zu finden.“
Schuchs Begeisterung für die französische Kunst hatte gute Gründe: In Paris debattieren Künstler, Kunstkritiker und Intellektuelle schon Mitte des 19. Jahrhunderts über eine neue Bedeutung und gesellschaftliche Rolle der Malerei: Unter den Schlagworten „Naturalismus“ und „Realismus“ wurde das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit neu ausgelotet. Bilder sollten nicht mehr nach den festgefahrenen Regeln der staatlichen Kunstakademien entstehen. Stattdessen forderte man die individuelle und unvoreingenommene Wiedergabe des Gesehenen und Erlebten, mit dem Ziel einer „art vivant“, einer „lebendigen Kunst“. Ohne unnötige Ausschmückungen und schwelgerische Idealisierungen sollten die neuen Ausdrucksweisen der modernen Welt gerecht werden.
Authentische Naturbilder – ehrlich und ohne Umschweife: Die neue Landschaftskunst entsteht in einer Zeit umfassender Industrialisierung und Verstädterung in Europa.
„Wir malen heute die Natur, wie sie scheint dem unbefangnen vorurtheilslosen Blick. Nicht wie wir ‚wissen daß sie sei.‘ Naiv!“
Wahrhaftig und
unkonventionell
Eine unvoreingenommene Kunst schaffen – diesen Wunsch teilt Carl Schuch mit seinen Weggefährten. In München trifft er auf den Künstlerkreis um den Maler Wilhelm Leibl (1844–1900): Die Zeitgenossen verbindet die Bewunderung für die französische Kunst, besonders für den großen Gustave Courbet (1819–1877).
Gemeinsame Arbeitsstunden, geteilte Bildmotive und Maltechniken: Mit den Künstlern des Leibl-Kreises arbeitet Carl Schuch in den 1870er Jahren immer wieder eng zusammen. Vor allem mit Wilhelm Trübner (1851–1917) entwickelt sich ein reger, kreativer Austausch: In so genannten Stillleben – Darstellungen von arrangierten Gegenständen – erproben die Künstler ihr malerisches Können.
„Courbet hatte einen unvergleichlichen Vorzug – er war er selbst, stand auf eigenen Füßen, sah mit eigenen Augen, brach alle Konvention.“
„Die jungen Leute malen hier ganz in meiner Art,“ schrieb Gustave Courbet 1869 aus München an seine Eltern. Tatsächlich faszinierte dessen Realismus und sein schillernder Ruhm eine ganze Künstlergeneration: Auch der Leibl-Kreis umschwirrte den Franzosen während seines Aufenthalts in München. Courbets Ziel war eine ungeschönte Kunst, die statt Helden und Heiligen, Landarbeiter und Mägde zeigte, statt konventionellen Bildern, kreative Darstellungsweisen und die individuelle Sichtweise des Autors. Courbets künstlerische Forderungen gingen mit seiner politischen Haltung Hand in Hand: Als sich im Deutsch-Französischen Krieg 1870 die Pariser Kommune gegen die deutschen Besatzer und die eigene Regierung Napoleons III erhob, war Courbet mit dabei: Bei der Zerstörung der Siegessäule auf der Place Vendôme – eines Symbols der Monarchie – zählte er zu den Anstiftern. Schuch war die politische Seite des Franzosen fremd: Einmal schrieb er, Courbets großes Talent habe durch dessen „Kampfattitüde“ sehr gelitten.
„Selbst sehen und selbst finden“ – das ist Carl Schuchs hoher Anspruch. Die etablierten Normen und Kunstgattungen – das Malen nach Regeln und Rezept, wie es an den staatlichen Kunstakademien gelehrt wurde – überlässt er den „Strebern“.
Das Ufer eines Weihers in der oberbayrischen Umgebung von München – mit dem Gemälde widerspricht Schuch den damaligen Sehgewohnheiten: Es scheint, als watete der Betrachter im flachen Wasser, der Blick trifft die Bäume der Böschung. Auf die schwelgerische Weite traditioneller Landschaftsbilder verzichtet Schuch bewusst.
Inspiriert von den Innovationen Courbets: Schuch lehnt seine Darstellung an Vorbildern des Franzosen an. In Bilder wie dieser stimmungsvollen Bachlandschaft waren die unkonventionelle Perspektive und der knappe Himmelsausschnitt in der linken oberen Ecke vorgeprägt.
Nicht nur in Frankreich verfolgten Künstlerinnen und Künstler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts definierte theoretische Ziele: Wilhelm Leibl, mit dessen Künstlerkreis Carl Schuch in München verkehrt, erklärt eine „Reine Malerei“ zu seiner Maxime. Unter Einfluss von Gustave Courbet entwickelt er die Vorstellung einer unverfälschten, beinahe objektiven Kunst, die nichts als das Gesehene wiedergeben soll. Dabei ist der Fokus auf Form, Farbe, Licht und Stofflichkeit – also auf das rein Malerische gerichtet. Was ein Bild zeigt war für Leibl und seine Weggefährten weniger wichtig. Sie widmeten ihrer Kunst dem Wie – den Farbgestaltungen, Pinselführungen und der inneren Haltung des Malenden.
Auf seinen Wegen durch Europa umgibt sich Schuch mit Kunst und Künstlern, die ihn bereichern und anregen. Doch festlegen, oder gar nach Moden und Markt richten, möchte er sich nicht. Als ihm die Malweisen des Leibl-Kreises zu sehr zur Routine werden, verlässt er Bayern und zieht nach Venedig.
„Man kann noch so viel gelernt haben, (…) die Spannkraft des Geistes das ist das eigentliche Talent.“